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Symbolfoto: Das AIT ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung

Mobility Observation Box: KI deckt gefährliche Situationen auf dem Schulweg auf

26.08.2024
ÖAMTC und AIT analysieren beispielgebend das Verkehrsgeschehen vor einer oberösterreichischen Schule

Jedes Jahr passieren auf Österreichs Schulwegen etwa 460 Unfälle mit Personenschaden. Jedoch sind Unfälle nur die sichtbare Spitze des Problems – weitaus häufiger sind Situationen, in denen es beinahe zu einem Unfall kommt.

Der Mobilitätsclub ÖAMTC hat mit einem vom AIT Austrian Institute of Technology entwickelten System beispielgebend das Verkehrsgeschehen vor einer oberösterreichischen Schule beobachtet und analysiert. Mittels künstlicher Intelligenz erfasst die „Mobility Observation Box“ (Fehl-)Verhalten und macht es sichtbar. Aus den Ergebnissen lassen sich Risikoschwerpunkte erkennen und Verbesserungsmaßnahmen ableiten.

Die Mobility Observation Box erfasst und klassifiziert alle Arten von Straßennutzer:innen automatisiert und anonym. Dabei wird das Verhalten und insbesondere auch die Geschwindigkeit von jedem sich bewegenden Objekt im Bild mittels Bewegungslinie registriert und analysiert, ohne dass daraus Rückschlüsse auf Personen oder Kennzeichen gezogen werden können. Die Box ist mit ca. 15 x 20 cm sehr klein und unauffällig, um das Verhalten der Verkehrsteilnehmer:innen nicht zu beeinflussen.

„Künstliche Intelligenz ist genauer, objektiver und zudem in der Lage, verschiedene gleichzeitig stattfindende Interaktionen zu erfassen und zu bewerten“, erklärt Michael Aleksa, Verkehrsforscher am AIT. Ob es mögliche Konflikte gibt und wie gravierend sie sind, wird anhand spezieller objektiver Parameter definiert. „Das umfassende Verständnis von möglichen Unfallursachen hilft bei der Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen, ohne dass man sich nur auf Unfalldaten bezieht“, so der Experte.

Vorgangsweise und Rahmenbedingungen

Unter Einhaltung aller Datenschutzstandards gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde die energieautarke Box für die Zeitspanne vom 13. bis 22. Mai 2024 auf einem Laternenmasten vor einer Volksschule in etwa vier Metern Höhe montiert. Ausgewertet wurden die fünf Schultage in diesem Zeitraum. Die Gemeinde wurde gemäß den gesetzlichen Vorgaben über die Studie informiert.

Ruhig ist nicht gleich sicher

Knapp 3.400 Verkehrsinteraktionen vor der Schule wurden in diesem Zeitraum automatisiert erfasst, analysiert und ausgewertet. Mit 73 Prozent ist der Pkw-Anteil hoch, mit ein Grund dafür könnte der angrenzende Kindergarten samt Krabbelstube sein. Fußgänger:innen machen rund 20 Prozent aus, mit dem Fahrrad oder Bus sind jeweils weniger als 3 Prozent unterwegs. Der Rest entfällt auf Lieferwagen und Lkw. Die Schule liegt in einem Wohngebiet mit Tempo-30-Zone.

Der Parkplatz vor dem Schulgebäude ist als Einbahn geregelt. An der gegenüberliegenden Bushaltestelle sichert ein Geländer die wartenden Kinder vom Gehsteig bzw. der Fahrbahn ab. Der Schutzweg ist jeweils beidseitig mit vertikalen Hinweispflöcken markiert, alle Verkehrszeichen rund um den Standort sind gut erkennbar. „Die Verkehrsinfrastruktur vor der Schule ist übersichtlich und klar, das Umfeld wirkt auch auf jüngere Kinder kaum ablenkend. Es ist leicht erfassbar, geordnet und ruhig, also vorbildlich gestaltet. Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass zahlreiche Verhaltensfehler begangen wurden, die beispielgebend sind und so auch täglich überall vor Schulstandorten vorkommen können. Viele gefährliche Situationen würden sich vermeiden lassen, wenn alle Verkehrsteilnehmenden aufmerksam unterwegs und sich ihrer Vorbildrolle bewusst wären und sich an die wichtigsten Spielregeln im Straßenverkehr halten würden“, betont ÖAMTC Verkehrspsychologin Marion Seidenberger.

Darf an einem Bus in der Haltestelle vorbeigefahren werden?

Besonders häufig fuhren Pkw-Lenker:innen morgens an dem in der Bushaltestelle stehenden Bus vorbei – manche auch dann noch, wenn der Bus bereits angehalten hatte und Kinder ausgestiegen waren. Nur wenige investierten die kurze Zeit und warteten hinter dem Bus. Hier mahnt die Expertin zu besonderer Vorsicht, denn viele sind sich der geltenden Regelung nicht bewusst. Diese Erfahrung machen die Verkehrserzieher:innen des ÖAMTC auch bei Elternabenden in Schulen und Kindergärten.

Es gilt: An Schulbussen – erkennbar an einer Schulbuswarntafel – darf bei eingeschalteten gelbroten Leuchten sowie aktivierter Warnblinkanlage nicht vorbeigefahren werden – egal, ob mit Rad, Motorrad, Pkw, Bus oder Lkw.

An gewöhnlichen Linienbussen ist das Vorbeifahren zwar gestattet, trotzdem gilt erhöhte Vorsicht, reduziertes Tempo und volle Konzentration auf Personen im Haltestellenbereich. Führt die Fahrbahn jedoch rechts an Bussen und Straßenbahnen vorbei, darf an diesen an der Haltestelle nicht vorbeigefahren werden, solange Fahrgäste ein- und aussteigen. Sind alle Türen des Busses oder der Straßenbahn wieder geschlossen, darf man in Schrittgeschwindigkeit passieren. Außerdem muss einem Linienbus im Ortsgebiet das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen ermöglicht werden, sobald dessen Blinker gesetzt wurde.

Insbesondere kurz vor Unterrichtsbeginn bzw. nach Unterrichtsschluss ist immer mit Schüler:innen auf der Straße zu rechnen – oft auch in Gruppen –, die besonders unaufmerksam gegenüber Geschehnissen im Verkehrsumfeld sind.

In der Beobachtungsstudie fielen weiters Personen auf, die ihr Fahrzeug mitten auf der Fahrbahn anhielten, um ihr Kind ins Auto steigen zu lassen. Rund 60 Prozent der Pkw-Lenker:innen hielten sich an die Tempo-30-Beschränkung. Ein Drittel hatte mit einem Tempo bis 45 km/h den Tacho nicht im Blick, etwa drei Prozent waren noch schneller unterwegs. „Das Überschreiten eines Tempolimits vor einer Schule ist ein absolutes No-Go“, mahnt die Verkehrssicherheitsexpertin.

Achtung, Vorbild!

Kinder sind gemäß Straßenverkehrsordnung (StVO) vom Vertrauensgrundsatz ausgenommen, die Verantwortung liegt bei den erwachsenen Verkehrsteilnehmenden. Das bedeutet, als Fahrzeuglenker:in muss man etwaiges unerwartetes Verhalten von Kindern sicher ausgleichen können. „Auch wenn an einem Linienbus vorbeigefahren werden darf, seien Sie sich bitte Ihrer Verantwortung bewusst, und wenn Sie überholen, dann äußerst langsam, aufmerksam und vorsichtig. Und erhöhen Sie dabei, wenn möglich, den Seitenabstand“, appelliert die ÖAMTC Expertin und erinnert: „Erwachsene – insbesondere engste Bezugspersonen wie die Eltern, aber auch Lehrkräfte und Betreuungspersonen – sind Vorbilder. Kinder lernen sehr viel durch Nachahmung und wünschen sich, dass Erwachsene ihre Rolle als Vorbild ernst nehmen, auch wenn das im mitunter hektischen Familienalltag oft nicht einfach ist.“

Gefahrenstellen entschärfen

Nicht immer sind Unfälle auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. „Verkehrssicherheit hängt ganz wesentlich von der Interaktion der Verkehrsteilnehmenden untereinander sowie mit der Straßeninfrastruktur ab. Unfallbegünstigende Faktoren sollten beseitigt oder zumindest so weit wie möglich entschärft werden“, fordert Harald Großauer, Landesdirektor des ÖAMTC Oberösterreich. Hohe Mauern etwa erschweren nicht nur die Sicht hinter dem Lenkrad, auch kleinere Kinder können diese nicht überblicken. Doch nicht jede Mauer kann niedergerissen werden. „Wichtig ist, den Kindern diese Gefahrenstellen gut zu erklären und mit ihnen dort das richtige Verhalten zu üben“, so Großauer. Neben baulichen Maßnahmen und Verkehrsleiteinrichtungen wie Mittelinseln oder Fahrbahnanhebungen können Lichtsignalanlagen, ausgeschilderte und markierte Halteverbots- und „Kiss and Ride“-Zonen sowie Schülerlots:innen die Straßen sicherer machen. Hier ist jede Schule einzeln und individuell zu bewerten, mittels KI kann dies leichter und objektiv gelingen.