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Symbolfoto: Das AIT ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung

E-Forming

Stromunterstütze Blechumformung (EAF – Electrically Assisted Forming) durch Nutzung des Elektroplastischen Effekts (EPE)

In Anbetracht der Klimakrise sind Green Deal und Dekarbonisierung heute zentral für eine nachhaltige technologische Weiterentwicklung. Immer mehr OEMs setzen Fristen, um ihre komplette Produktketten auf CO2-neutrale Produktion umzurüsten bzw. nur noch entsprechend produzierte Komponenten zuzukaufen. Neben dem vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energiequellen ist ein Gebot der Stunde, optimierte Produktionsprozesse mit maximal effizienter Energienutzung zu entwickeln und zu etablieren, um den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter zu beschleunigen.

In der Metallverarbeitung, traditionell eine sehr energieintensive Branche, gibt es große Einsparungspotenziale; das gilt besonders für die Umformtechnik, da rund zwei Drittel der gefertigten metallischen Werkstoffe durch Umformung weiterverarbeitet werden. Aus diesem Grund hat das LKR die technologische und wissenschaftliche Erforschung des „Elektroplastischen Effekts“ (EPE) in seine strategischen Ziele aufgenommen und – gemeinsam mit namhaften Industriepartnern – einer industriellen Umsetzung zuzuführen. Der EPE zeigt, dass das plastische Fließen verschiedener Metalle (Al, Fe, Mg, Ti,…) erleichtert ist, wenn während der Umformung hohe gepulste elektrische Ströme durch die Umformzone fließen.

Durch die Nutzung des EPE können unter anderem Effizienzsteigerungen in den eigentlichen Umformprozessen, Vermeidung der Aufbringung hoher thermischer Energie, Reduktion der notwendigen Verformungskräfte, Minimierung von Prozessabfällen sowie die Reduktion von Prozessschritten umgesetzt werden. Es eröffnen sich somit vielfältige Einsparungspotenziale. Weitere nennenswerte Vorteile sind die Reduktion der Fließspannung, die Erhöhung der Duktilität und die Verringerung der Rückfederung bei der Werkstoffherstellung [2]. In der englischsprachigen wissenschaftlichen Literatur wird die Nutzung des EPE hauptsächlich mit den Begriffen „Electrically Assisted Forming“ (EAF) und „Electrically Assisted Manufacturing“ (EAM) in Verbindung gebracht.

So ist in der Literatur beispielsweise bestätigt, dass festes und sprödes Ti-6Al-4V sich deutlich leichter stauchen lässt [1]. In ersten Experimenten wurde der EPE am LKR an Edelstählen insofern nachgewiesen, dass die zum Stauchen notwendige Kraft reduziert wurde. (Abb.1).

Abb. 1: Mithilfe des EPE gestauchte Rohrabschnitte

Obwohl der EPE seit rund 50 Jahren erforscht wird, sind die zugrundeliegenden Mechanismen noch nicht vollständig geklärt. So war anfänglich die durch den Stromfluss gesteigerte Bauteiltemperatur (Joule´sche Erwärmung) die Erklärungsgrundlage für die verringerte Fließspannung. Aktuellere Forschungsergebnisse zeigen aber, dass neben dem thermischen Effekt auch noch andere Effekte eine Rolle spielen müssen [3]. Zu den vorgeschlagenen Mechanismen gehören der Elektronenwind, lokalisierte Joule´sche Erwärmung an Korngrenzen und Versetzungen und verstärkte atomare Diffusion (Elektromigration). Weit verbreitet ist hier die Theorie des Elektronenwindes. Hierbei streuen Elektronen, generiert durch die angelegte elektrische Energie, an Versetzungen, wodurch eine Impulsübertragung stattfindet und so die Versetzungsbewegung unterstützt wird. Der zweite und dritte Mechanismus beruhen auf der verstärkten Diffusion von Atomen und Leerstellen zu lokalisierten thermischen Hotspots [4, 5]. Auch wenn diese Theorien unterschiedliche Mechanismen für den EPE vorschlagen, stützen sie die Ansicht, dass durch Anlegen elektrischer Energie die Versetzungen in Metallen beeinflusst werden.

Obwohl eine Unterscheidung zwischen den athermischen Effekten bisher noch nicht möglich war bzw. die Mechanismen noch nicht vollständig geklärt sind, ist die Entkoppelung des Joule´schen Effektes bei einaxialen Zugversuchen schon gelungen [6, 7]. Diese Untersuchungen bestätigen, dass die Verringerung der Fließspannung und Erhöhung der Duktilität auf den gepulsten Strom und nicht nur auf die Joule´sche Erwärmung zurückführbar ist. Weiters gelang jüngst an einer Ti-Legierung der Nachweis, dass der athermische Anteil des EPE von der bloßen Bauteilerwärmung zu trennen ist [5].

Abb. 2: Umformpresse, adaptiert für Untersuchungen des Elektroplastischen Effekts (EPE)

Um Versuche im EAF in einem semi-industriellen Kontext durchführen zu können, wurde am LKR die in Abb.2 dargestellte Presse für Umformprozesse mit hohen gepulsten Stromdichten adaptiert. Überdies werden Zugversuche an diversen Materialien durchgeführt, wobei deren Ergebnisse die Grundlage für Umformsimulationen darstellen, welche wiederum mit Simulationen der Stromverteilung in den Umformbauteilen gekoppelt betrachtet werden. Parallel dazu wird der Einfluss auf die Mikrostrukturentwicklung, Textur und Phasenausscheidung bei Verformung unter Stromfluss erforscht und auch der Einfluss von isolierenden/kontaktierenden Beschichtungen untersucht.

Die Vorteile der stromunterstützen Blechumformung (EAF) zusammengefasst:

  • Höhere plastische Dehnung
  • Reduktion notwendiger Verformungskräfte
  • Umformprozess bei niedrigeren Temperaturen
  • Verringerte Rückfederung
  • Erhöhte Duktilität
  • Minimierung von Prozessabfällen
  • Reduktion von Prozessschritten (und somit weniger Hallenflächen, Landverbau)

Das LKR arbeitet in diesem Bereich bereits mit namhaften Partnern zusammen. Wir sehen aber ein sehr großes und vielfältiges Potenzial in unterschiedlichen Bereichen der produzierenden Industrie. Wir würden uns freuen, wenn Sie mit ihrem spezifischen Entwicklungsthema auf uns zukommen und wir einen Betrag zu Ihren Bestrebungen in Richtung CO2-neutraler Fertigung leisten können!

Literatur

[1] W. A. Salandro, J. J. Jones, C. Bunget, L. Mears, and J. T. Roth, Electrically Assisted Forming. Cham: Springer International Publishing, 2015.

[2] B. J. Ruszkiewicz, T. J. Grimm, I. Ragai, L. Mears, and J. T. Roth, “A Review of Electrically-Assisted Manufacturing With Emphasis on Modeling and Understanding of the Electroplastic Effect,” J. Manuf. Sci. Eng., vol. 139, no. 11, Nov. 2017, doi: 10.1115/1.4036716.

[3] W. A. Salandro, C. Bunget, and L. Mears, “Thermo-Mechanical Investigations of the Electroplastic Effect,” in ASME 2011 International Manufacturing Science and Engineering Conference, Volume 1, Jan. 2011, pp. 573–582, doi: 10.1115/MSEC2011-50250.

[4] C. Rudolf, R. Goswami, W. Kang, and J. Thomas, “Effects of electric current on the plastic deformation behavior of pure copper, iron, and titanium,” Acta Mater., vol. 209, 2021, doi: 10.1016/j.actamat.2021.116776.

[5] S. Zhao et al., “Defect reconfiguration in a Ti–Al alloy via electroplasticity,” Nat. Mater., vol. 20, no. 4, pp. 468–472, Apr. 2021, doi: 10.1038/s41563-020-00817-z.

[6] K. Hariharan, M.-G. Lee, M.-J. Kim, H. N. Han, D. Kim, and S. Choi, “Decoupling Thermal and Electrical Effect in an Electrically Assisted Uniaxial Tensile Test Using Finite Element Analysis,” Metall. Mater. Trans. A, vol. 46, no. 7, pp. 3043–3051, Jul. 2015, doi: 10.1007/s11661-015-2879-3.

[7] X. Wang et al., “Current-Induced Ductility Enhancement of a Magnesium Alloy AZ31 in Uniaxial Micro-Tension Below 373 K,” Materials (Basel)., vol. 12, no. 1, p. 111, Dec. 2018, doi: 10.3390/ma12010111.