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Wiener Skyline. Fotocredit: Getty Images

Gesucht: Wege zu mehr Nachhaltigkeit

11.08.2020

Eine große Konferenz, die von Wiener Forschungsinstitutionen organisiert wird, sucht nach konkreten und gangbaren Wegen, um Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger zu gestalten.

Von „Nachhaltigkeit“ sprachen ursprünglich nur Forstwirte: 1713 hielt der sächsische Kammer- und Bergrat Carl von Carlowitz in seinem Werk „Silvicultura oeconomica“ den Gedanken fest, dass nicht mehr Holz gefällt werden dürfe, als nachwachsen kann. Carlowitz stand damals vor dem Problem, dass der Bergbau im Erzgebirge immense Mengen an Holz erforderte, es aber wegen der großflächigen Abholzungen immer schwieriger wurde, den Holzbedarf zu decken. So kam er zum Schluss, dass eine planvolle, nachhaltige Bewirtschaftung dieser Ressource notwendig sei. Wie problematisch Eingriffe des Menschen in die Umwelt sein können, wusste auch schon der Naturforscher Alexander von Humboldt. 1844 schrieb er folgenden bemerkenswerten Satz: „Das Klima der Kontinente [hängt ab von den Veränderungen], welche der Mensch [...] durch die Entwicklung großer Dampf- und Gasmassen an den Mittelpunkten der Industrie hervorbringt.“ Damit wurde Humboldt zu einem weiteren Gründervater der heutigen Nachhaltigkeitsdebatte.

In den allgemeinen Sprachgebrauch wurde das Wort „Nachhaltigkeit“ 1987 durch den Brundtland-Bericht der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung eingeführt: Mit dem Grundgedanken, die „Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation zu befriedigen, ohne die künftigen Generationen zu gefährden“, war der moderne Begriff der nachhaltigen Entwicklung geboren, der ökologische, ökonomische und soziale Aspekte umfasst.

Große Ziele der Menschheit

2015 haben sich die Vereinten Nationen mit der „Agenda 2030“ auf einen globalen Plan zur Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands und zum Schutz unseres Planeten geeinigt. Die darin enthaltenen 17 „Ziele für Nachhaltige Entwicklung“ reichen von der Ausrottung von Armut und Hunger über nachhaltige Wirtschaftsweise, Schutz der Umwelt und Bewahrung der Biodiversität bis hin zum Abwenden der Klimakatastrophe.

Diese Nachhaltigkeitsziele kann wohl jedermann und -frau unterschreiben. Und dennoch kommen wir ihnen in vielen Bereichen nicht wirklich näher, wie aus den jährlich von der UNO veröffentlichten Fortschrittsberichten hervorgeht. „Wir stehen vor der größten gesellschaftlichen Herausforderung, zumindest seit Beginn der Industrialisierung. Deren Bewältigung wird ohne einen umfassenden Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft nicht möglich sein“, beschreibt Klaus Kubeczko, Nachhaltigkeits- und Innovationsexperte am Center for Innovation Systems & Policy des AIT Austrian Institute of Technology, die Motivation, eine wissenschaftliche Konferenz zu dem Thema nach Wien zu holen.

Systemischer Ansatz ist notwendig

Eine der wichtigsten Herausforderungen liegt nach Ansicht praktisch aller Expert*innen darin, dass es nicht ausreicht, Lösungen für einzelne Probleme zu finden – denn viele Bereiche hängen eng miteinander zusammen, und teilweise widersprechen sich die Ziele, zumindest vordergründig. Vielmehr ist ein systemischer Ansatz notwendig, um Wandel zu ermöglichen. „Wir sehen einen dringenden Bedarf, Systeminnovationen zu entwickeln und dabei Lösungen zu finden, die auch vermeintliche Widersprüche zwischen den Nachhaltigkeitszielen auflösen können – etwa zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Senkung der Treibhausgasemissionen“ so Kubeczko.

Doch wie kann man eine derartige Veränderung überhaupt verstehen und begreifen, und wie kann man zu einem positiven Zukunftsbild kommen? Wie schaffen es Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in einer Ära des Wandels, einen Weg zu einer lebenswerten Zukunft einzuschlagen und zügig zu verfolgen? Solche Fragen stehen im Zentrum der 11. International Sustainability Transitions Conference (IST2020), die von 18. bis 21. August 2020 stattfindet. Organisiert wird die IST2020 vom AIT gemeinsam mit der Wirtschaftsuniversität Wien (Forschungsinstitut für Urban Management and Governance) und dem Netzwerk von Forscher*innen zu nachhaltigen Transitionen (STRN – Sustainable Transitions Research Network).

Dieses erstmals als Online-Konferenz konzipierte jährliche Treffen zum Austausch bisheriger Erfahrungen und neuester Forschungsergebnisse wird auch konkrete, in der Praxis gangbare Handlungsoptionen aufzeigen und einen Dialog mit Praktiker*innen ermöglichen. Dafür wird die Konferenz auch von der Stadt Wien, der Arbeiterkammer Wien und dem Klima- und Energiefonds finanziell unterstützt.

Von Pilot-Projekten zur großflächigen Umsetzung

„Es gibt viele Pilot-Projekte, die sehr gute Lösungen liefern. Aber die Frage ist: Wie schafft man es, dass eine erfolgreich getestete Lösung auch anderswo funktioniert – und das auch ohne Förder-Karotte?“, resümiert die AIT-Forscherin Gudrun Haindlmaier, die die Konferenz mitorganisiert. Zu diesen Fragen gibt es derzeit entweder keine befriedigenden Antworten, oder diese fordern die Innovationsökosysteme wegen ihrer Komplexität und ihrer Ressourcenintensivität noch zu sehr heraus.

Sehr wohl gibt es aber eine Reihe von Initiativen, die Umbrüche im großen Stil im Fokus haben. Dazu zählt etwa der „European Green Deal“, mit dem die EU den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit vorantreiben will und darin auch einen Motor zum Anspringen der Wirtschaft sieht. Dazu hat die britische Forscherin, Aktivistin und Buchautorin Ann Pettifor, die bei der Konferenz die Eröffnungs-Keynote halten wird, einiges zu sagen. Pettifor war vor mehr als zehn Jahren an der ersten „Green New Deal“-Initiative in Großbritannien beteiligt, sie kennt die Widerstände gegen einen systemischen Wandel sehr gut. Beiträge, die sich mit dem Systemwandel aus anderen Blickwinkeln befassen, kommen von den anderen beiden Keynote-Speakern: Koen Frenken (Uni Utrecht) spricht über die Rolle der Plattform-Ökonomie und Karoline Rogge (Uni Sussex und ISI Fraunhofer Institut) über den richtigen Policy-Mix zur Wende im Energiesektor.

Das Programm der dreitägigen Konferenz ist bewusst sehr breit aufgestellt. Der Themenbogen umfasst Energiewende, Mobilitätswende, Transition im Bereich der Ernährung und Kreislaufwirtschaft genauso wie Governance-Prozesse in Wirtschaft und Staat sowie die Frage nach dem langfristigen Wandel der Gesellschaft. Schwerpunkte der wissenschaftlichen Beiträge gibt es in den Bereichen Transition von Energiesystemen und von Städten. Bei letzterem Thema ist Wien selbst mit seinen Smart-City-Projekten sowie ersten Aktivitäten im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Wien 2022 ein gutes Beispiel. Auch die soziale Dimension von Nachhaltigkeit kommt nicht zu kurz: Eigene Sessions gibt es zum Thema „gerechte Transition“ (just transition) und zu den spezifischen Problemen des globalen Südens. Überdies gibt es eine Kooperation mit der Kinder-Uni Wien in Form eines Workshops zum Thema „Nachhaltige Stadt der Zukunft“.

Landschaft mit Photovoltaik Panel und Windrädern

„Wir sehen einen dringenden Bedarf, Systeminnovationen zu entwickeln und dabei Lösungen zu finden, die auch vermeintliche Widersprüche zwischen den Nachhaltigkeitszielen auflösen können – etwa zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Senkung der Treibhausgasemissionen“ - Klaus Kubeczko, Nachhaltigkeits- und Innovationsexperte am Center for Innovation Systems & Policy des AIT Austrian Institute of Technology.

Kooperation vieler Partner

Ebenso bunt wie das Programm ist auch die Teilnehmerschaft an der IST2020: Unter den Teilnehmer*innen finden sich Forscher*innen mit ihren mehr als 400 wissenschaftlichen Beiträgen genauso wie Policy-Maker und Vertreter*innen von NGOs und Grass-Roots-Bewegungen, die in den mehr als 40 Dialogforen mitdiskutieren. Diese Vielfalt ist extrem wichtig: Sowohl in der Forschung als auch bei Umsetzungsprojekten in der Praxis wurden in den vergangenen Jahren viele Bausteine für eine umfassenden -nachhaltigen Wandel erarbeitet. Dabei zeigte sich häufig, dass auch psychologische Faktoren über das Gelingen oder Scheitern der notwendigen Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren und Stakeholdern mitentscheiden, erläutert die Transitionsforscherin Haindlmaier. „Das hat sehr viel mit Vertrauen in andere Projektpartner und gesellschaftliche Gruppen zu tun.“ Denn: „Veränderungen sind immer mit großer Unsicherheit verbunden – und Vertrauen in der Zusammenarbeit hilft dabei, die Komplexität von Veränderungsprozessen zu verringern. Das gilt von den kleinsten Schritten durch kollaborative Forschungsprojekte bis hin zu internationalen Abkommen.“

Der hohe Kooperationsbedarf verweist auch auf die zentrale Rolle der Politik bei der Gestaltung des Systemwandels. „Staatliche Maßnahmen können in vielerlei Hinsicht Impulse für Systemveränderungen geben, von Förderungen über die Definition von Leitbildern und Rahmenbedingungen bis hin zum gezielten Einsatz öffentlicher Investitionen“, sagt Matthias Weber, Leiter des AIT Center for Innovation Systems & Policy. „Je weiter wir uns in Richtung Systemveränderung bewegen, desto wichtiger wird die Rolle des Staates für das Organisieren abgestimmten Handelns der unterschiedlichen Akteure und Stakeholder in Wirtschaft und Gesellschaft, die den Systemwandel mitgestalten. Und damit ist auch jede*r Einzelne von uns in unseren Rollen als Bürger*in, Entscheidungsträger*in, Manager*in und Verbraucher*in gemeint.“