Der Gaia-X Hub Austria stellte unter Einbindung von Data Space Expert:innen des AIT Austrian Institute of Technology und der Digital Factory Vorarlberg am 18. April 2024 erstmalig eine implementierte Testinfrastruktur für den regeldefinierten und gesicherten Austausch von Daten vor. In einer Live-Demo zwischen Wien und Dornbirn wurde die technische Implementierung eines Datenraumes, der auf dem Trust-Framework von Gaia-X basiert, in Form einer Robotik-Anwendung präsentiert. Über 30 Vertreter:innen aus der produktionsintensiven Vorarlberger Wirtschaft wurden über das enorme Potenzial neuer datengetriebener Geschäftsmodelle informiert, durch die höchste Datensouveränität sichergestellt werden kann.
Neue Servicestelle für die Vorarlberger Industrie
Vor allem die Weitergabe von sensiblen Daten und der damit verbundene Kontrollverlust über die eigenen Daten ist oft ein Hemmnis für die Nutzung von Informationen über Firmengrenzen hinweg. Datenräume werden es in Zukunft ermöglichen, dass die Daten bei den Besitzer:innen oder Urheber:innenn bleiben, diese die volle Kontrolle über Zugriffsrechte behalten, monetäre Vergütungen für die Datennutzung ausgehandelt werden sowie Daten in verschlüsselter Form analysiert werden können. Um Vorarlberger Unternehmen in diesem Bereich zu unterstützen, wird an der Digital Factory Vorarlberg eine Servicestelle des Gaia-X Hub Austria etabliert, welche die Vorarlberger Wirtschaft bei der Nutzung und dem Austausch von Daten zur Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit unterstützen soll. Neben den eigenen Expert:innen kann die Servicestelle in ihrer Beratungsfunktion und bei der Wissensvermittlung auf die in den letzten Jahren gewonnenen Erfahrungen in der Konzeption und Umsetzung von Datenräumen zurückgreifen, die in unterschiedlichen Domänen des Gaia-X Hub Austria gemacht wurden. Weiters steht der neuen Vorarlberger Servicestelle die umfassende Digitalkompetenz des AIT Center for Digital Safety & Security, sowie der gesamte Wissenspool der europäischen Gaia-X Dachorganisation AISBL und des europäischen Data Space Support Centers (DSSC) zur Verfügung.
Produzierende Industrie vor neuen Herausforderungen
Stand in den letzten Jahrzehnten die Digitalisierung der Produktion im Vordergrund, ist aktuell ein zunehmender Druck zur Digitalisierung der Produkte und der Unternehmen zu beobachten. Auf der einen Seite sind Unternehmen immer mehr gefordert, Informationen digital zur Verfügung zu stellen. Das beginnt bei der Abwicklung von Geschäftsprozessen, reicht aber inzwischen bis zu verpflichtenden Berichten über Nachhaltigkeitsaspekte (ESG). Auch das geplante Lieferkettengesetz verstärkt den Druck auf Unternehmen, Informationen über ihr Unternehmen und ihre Produkte inklusive der Daten von Lieferanten digital verfügbar zu haben.
Andererseits werden auch klassische Produkte immer digitaler. Der Digitale Produktpass oder der Digitale Zwilling sind inzwischen in vielen Bereichen bereits Realität. So müssen in einigen Produktgruppen (bspw. Batterien) bereits 2027 verpflichtend digitale Produktpässe bereitgestellt werden, um die Wiederverwertung wertvoller Rohstoffe zu erleichtern. Aber auch die Produkte selbst werden intelligenter und produzieren Daten, die in vielen Fällen sowohl für Nutzer:innen, als auch Produzent:innen von Interesse sind. So können Daten über das Lade- und Nutzungsverhalten von Batterien zur Vorhersage der Restnutzungsdauer genutzt werden, aber auch zur Verbesserung des Produktdesigns beitragen.
Um solche Anwendungen zu ermöglichen, benötigen Unternehmen nicht nur Daten aus der eigenen Produktion, sondern auch von ihren Zulieferern. Gleichzeitig müssen sie selbst Daten an Dritte weitergeben. Datenräume bieten den organisatorischen und technischen Rahmen, um diesen Datenaustausch vertrauensvoll und unter Wahrung der unternehmerischen Souveränität durchzuführen.
Datenmärkte, die zukünftige Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und Innovation
Das Internet wie wir es heute kennen hat sich über verschiedene Innovationszyklen Schritt für Schritt entwickelt. Am Anfang stand der Auf- und Ausbau der Infrastruktur, bei dem laufend Legacy-Netze für Sprachverkehr in IP-fähiges Breitband zur Übertragung großer Datenmengen umgebaut wurden. Nach dem Aufkommen des World Wide Web, in dem sich heute das Wissen der Welt spiegelt, sowie Diensten für schnelle, hochverfügbare persönliche Kommunikation wie E-Mail, welche heute in der Wirtschaft noch immer seinen angestammten Platz hat, brachte die nächste Generation des Internets einerseits die globale Vernetzung aller Menschen unter dem Stichwort „Social Media“, als auch andererseits durch rasante Fortschritte in der Maschinenkommunikation Entwicklungen wie „Industrie 4.0“ hervor.
Auf der Ebene der Datenhaltung haben wir in jüngerer Vergangenheit einen massiven Shift zu verschiedenen Cloud-Diensten erlebt, in denen die heute anfallenden riesigen Datenmengen gespeichert und für die gezielte Verarbeitung bereitgehalten werden. Aktuell stehen Unternehmen vor der Herausforderung, einerseits die Kontrolle über ihre Daten nicht zu verlieren, da diese einen wesentlichen Geschäftswert darstellen, andererseits aber immer mehr Daten mit anderen teilen zu müssen, um beispielsweise Informationen entlang der Lieferkette weiterzugeben. Diese bislang letzte Evolutionsstufe der ökonomischen Digitalisierung führt aktuell zum Aufbau von sogenannten Datenräumen, die einen organisatorischen und technischen Rahmen für den Austausch von Daten bereitstellen. Datenräume ermöglichen einen flexiblen, vertrauensvollen Austausch von Daten und eröffnen damit völlig neue Geschäftsmodelle und Möglichkeiten, sich verändernden Kundenanforderungen anzupassen, während die Souveränität über die eigenen Daten in vollem Umfang gewahrt bleibt. Datenräume bieten plakativ gesprochen eine sichere und flexible on-demand-Datennutzung aus der Steckdose.
Gaia-X als europäischer Referenzrahmen für Datenräume
Mit der auf europäischen Werten basierenden Vision von Datenräumen als dezentralisierte offene und föderierte Cloud-Infrastruktur soll durch definierte Spielregeln die kommerzielle Basis für einen vertrauensvollen Datenaustausch geschaffen werden. Rechtliche Einfassungen in Form von Vereinbarungen, Verträgen und Regularien fördern bei Gaia-X das Anwendervertrauen in diese neue Form der Datenwirtschaft. In Leuchtturmprojekten entwickelte technische Standards für Software basierend auf Open Source, die Gestaltung von Schnittstellen zur Gewährleistung von Interoperabilität (APIs) und verschiedene Labels für den Nachweis der Konformität mit den Gaia-X-Regeln (Protokolle) sorgen gemeinsam für die geforderte Datensicherheit und Qualität im domänenübergreifenden Datenaustausch, der im Einklang mit allen relevanten Gesetzgebungsakten der Europäischen Union wie der DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung), dem Data Governance Act oder dem Data Service und Data Market Act steht.
Datensouveränität für Dateninhabende
Üblicherweise werden auf Märkten verschiedenste Güter gehandelt. Potenzielle Käufer:innen suchen sich für Güter, die sie benötigen, entsprechende Anbieter:innen, welche ihre Produkte mit definierten Konditionen entsprechend anbieten, wobei sich Händler:innen und Käufer:innen nicht kennen müssen. Übertragen auf die digitale Welt des Datenhandels braucht es dafür Plattformen bzw. Datenmärkte, wo Daten angeboten werden und Datenbesitzer:innen und Dateninteressent:innen beabsichtigte Transaktionen abwickeln können.
Gemeinsam bilden diese Datenmärkte Ökosysteme, die bestimmten Voraussetzungen und Regeln unterliegen. Zuallererst braucht es einen Datenkatalog, indem die Inhaber:innen und Anbieter:innen von Daten diese (ihr Angebot) im Detail selbst beschreiben. Um welche Art von Daten handelt es sich? Zu welchen Kosten lassen sich Daten erwerben? Gibt es je nach Datensatz Unterschiede, die von bestimmten Datennutzer:innen zu beachten sind? Beispielsweise könnten Daten, die nur zu Forschungszwecken benötigt werden, kostenlos abgerufen werden, während dieselben Daten für kommerzielle Zwecke festgelegte Preise haben oder weiteren speziellen Konditionen für die Datennutzung unterliegen, wie etwa nur zur einmaligen Verwendung oder geografisch begrenzt nur in einem bestimmten Land oder Kontinent. Zusätzlich können Dateninhaber:innen im Datenkatalog auch bestimmte Zugriffsrechte auf die Daten z.B. nur für Prokurist:innen eines Käuferunternehmens definieren. In Summe werden auf diese Weise klare und transparente Geschäftsbedingungen für Datenmarkttransfers als Voraussetzung für einen prosperierenden Datenhandel geschaffen.
Das Kernziel von Gaia-X insgesamt ist, die Datensouveränität für Dateninhabende zu gewährleisten. Die Daten verbleiben bei dem beschriebenen Marktmodell stets im Hoheitsbereich des:der Dateninhaber:in, egal ob er oder sie diese bei einem Provider hostet oder das Rechenzentrum selbst betreibt. Durch die Anwendung des zuvor erwähnten technisch abgebildeten Gaia-X-Regelwerks wird europäischer Datenschutz und die Wahrung aller Geschäftsgeheimnisse und IPRs (Intellectual Property Rights) sichergestellt. Die dahinterliegenden Datenspeicher lassen sich darüber hinaus durch spezielle krypotgrafische Sicherungsmaßnahmen wie z.B. die Produktpalette des AIT-Partners fragmentiX zusätzlich absichern.
Vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz
Eine vertrauensvolle Künstliche Intelligenz funktioniert mittel- bis langfristig nicht ohne verfügbare, qualitätsvolle Datensätze. Im Gaia-X-Zusammenhang können externe Marktteilnehmer:innen künftig ihre Algorithmen zum Dateninhabenden schicken und die KI-Modelle gegen Entgelt auf den angebotenen Datensätzen trainieren. Dadurch wird ein bestimmtes Datenqualitätsniveau erreicht, wie es z.B. bei Produktpässen ausgewiesen wird. Man weiß bei dieser Vorgangsweise, von wem die Daten stammen, woher sie kommen und erhält damit eine Art Datengütesiegel. Damit können Nutzer:innen von Daten beispielsweise jederzeit nachweisbar belegen, dass das von ihnen im nächsten Schritt eingesetzte KI-Modell etwa keinen Bias beinhaltet, weil der für das Training des Modells erworbene Datensatz mit einem entsprechenden Gütesiegel ausgestattet ist.
Helmut Leopold, Chairman des Gaia-X-Hub Austria: „Eine nachhaltige enge Kooperation zwischen Industrie, Forschung und öffentlicher Hand ist die Grundlage dafür, auch in der neuen und zukunftsgerichteten Digitalwirtschaft global eine steuernde Rolle einnehmen zu können. Wir sind stolz, dass wir mit dem Gaia-X Hub Austria erfolgreich eine international anerkannte Informationsdrehscheibe etablieren konnten.“
Robert Merz, Leiter der Digital Factory Vorarlberg: „Daten und Zugriffsrechte in der eigenen Hand zu behalten, sowie eine Verarbeitung unter Aufrechterhaltung der Verschlüsselung sind entscheidende Faktoren für die zukünftige, unternehmensübergreifende Datennutzung. Wir sind stolz, gemeinsam mit dem AIT und dem Gaia-X Hub Austria Kompetenzen für diese zukunftsweisenden Themen in Vorarberg zur Verfügung stellen zu können.“
Über AIT
Das AIT Austrian Institute of Technology ist mit rund 1.400 Mitarbeiter:innen Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung und hochspezialisierter Forschungs- und Entwicklungspartner für die Industrie. Im Center for Digital Safety & Security arbeiten mehr als 200 Expert:innen an Schlüsseltechnologien der Digitalisierung, um modernste Informations- und Kommunikationstechnologien energieeffizient, hochsicher und zuverlässig zu bauen und bedarfsgerecht einzusetzen. Dabei fokussiert das Center auf verschiedene Schlüsseltechnologiebereiche. Im Forschungsbereich Cooperative Digital Technologies beschäftigen sich die AIT-Expert:innen z.B. mit zukünftigen IT-Architekturen und Technologien und legen einen besonderen Fokus auf verteilte und virtualisierte IT-Systeme, Datenökosysteme, das Internet der Dinge und smarte Anwendungen für die Umwelt, auf E-Government sowie die öffentliche Sicherheit und das Krisen- & Katastrophenmanagement. Die Forschungsaktivitäten des Centers bauen auf eine starke Vernetzung mit weltweit führenden Universitäten und Forschungseinrichtungen, aber auch mit internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sowie mit dem europäischen Innovationssystem (EU-Kommission, EU-Agenturen und Behörden in den EU-Mitgliedsstaaten). Das Center fungiert dadurch auch als effektives Bindeglied für die österreichische Industrie und für Behörden zu internationalen Innovationsökosystemen.
Weitere Informationen: https://www.ait.ac.at/dss/
Über Digital Factory Vorarlberg
Die Digital Factory Vorarlberg (DFV) ist ein überbetriebliches Kompetenzzentrum für Digitalisierung. Durch anwendungsorientierte Forschung, Entwicklung und Innovation unterstützt die DFV Unternehmen bei der Konzeption, Umsetzung und Einführung von digitalisierten Prozessen. Die Expertise der Digital Factory Vorarlberg erstreckt sich vom Entstehungsort von Daten bei Sensoren, Steuerungen oder übergeordneten Systemen, über die Vernetzung, Datenorganisation und Datensemantik, modernste Methoden der Datenanalyse und künstlichen Intelligenz, bis zur Bereitstellung prototypischer Applikationen, die im realen Betrieb zum Einsatz kommen. Anwendungsbeispiele sind die Entwicklung künstlicher Intelligenz für die Maschinenüberwachung, Qualitätskontrolle oder Erkennung von Cyberangriffen, neuronale Netze zur Vorhersage und Optimierung von Energie- oder Ressourcenverbrauch, Simulationsmodelle für Produktionsabläufe, moderne Datenhubs zur Vernetzung unterschiedlicher Unternehmen oder Multi-RAT Wireless- und IoT-Applikationen einschließlich der Verwendung von privaten 5G Mobile Networken in Unternehmen. Die DFV verfügt über eine Modellfabrik zur Abbildung einer vollständigen Sachgüterproduktion. Die Digital Factory Vorarlberg GmbH ist ein Joint Venture des AIT Austrian Institute of Technology und der FH Vorarlberg.
Über Gaia-X Hub Austria
Der Gaia-X Hub Austria wird vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) als auch vom Bundesministerium für Finanzen (BMF) finanziert und agiert als nationales Kompetenzzentrum zur Unterstützung der österreichischen Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung bei der digitalen Transformation hin zu sicheren und souveränen datengetriebenen Service- und Geschäftsmodellen. Der Hub bietet somit Orientierung durch Beratung politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger:innen, unterstützt den Kompetenzaufbau durch Vermittlung von konkretem Wissen über Datenökosysteme sowie technische Plattformen und Lösungen, stellt Möglichkeiten für das Testen von Systemen und Lösungen zur Verfügung und unterstützt den Aufbau von strategischen Allianzen und internationalen Partnerschaften.